Totenzettel von Heinrich Winand.
Die Geschichte vom Plückvogel - dem 'gepflückten Vogel' ist schon oft
erzählt worden. Die bekannteste Version scheint mir die von dem
Stammheimer Johann Schmitz zu sein.
Was war passiert?
Sommer 1890. Es ist Schützenfest von Stammheim und Flittard. Der Stammheimer Schützenkönig
Peter Kissel mit seiner Frau Sibilla Kissel geb. Körner richten das Fest aus (wie es alte Tradition ist)
und sie haben den Vogel 'auf dem Kamp' an der heutigen Hofstraße in Stammheim aufgesetzt.
D.h. sie haben dort die Vogelstangen (Ruthen) und vermutlich ein Zelt etc. aufgebaut. Nach dem
Schuß von Johann Westenberg (geboren 06.05.1847 in Mülheim, Mitkämpfer im Krieg 1870/71)
hängt nur noch ein kleines Stück an der Ruthe. Von unten ist nicht zu entscheiden, ob das Holz
noch richtig auf der Ruthe sitzt oder abgerutscht ist und auf einem Quernagel aufliegt. Liegt es auf
dem Quernagel, ist der Vogel abgeschossen und Johann Westenberg ist König. Sitzt das Holz
noch auf der Ruthe, muss weiter geschossen werden.
Der Vorstand beschließt: Wir lassen die Ruthe runter und schauen nach. Die Ruthe wird also
runtergelassen. Sie ist noch nicht richtig unten, da springt das Stammheimer Vorstandsmitglied
Heinrich Winand hoch und reißt das letzte Stück Holz von der Ruthe - er pflückt also den Vogel
von der Stange. Nun ist nicht mehr zu entscheiden, wo das Holz hing. Die Schützen haben keine
Wahl mehr: Johann Westenberg ist neuer Schützenkönig.
Man darf vermuten, dass es ein großes Geschrei und Geschimpfe und vielleicht sogar
Handgreiflichkeiten gab, da die folgenden Flittarder Schützen sich ganz zu Recht Hoffnungen auf
den Königstitel gemacht hatten. Sicher nahm man diesen Plückvogel zum Anlaß die auf 400
Mitglieder angewachsene Bruderschaft in zwei Schwesternbruderschaften zu teilen. Dies geschah
ein Jahr später im Jahre 1891.
Johann Westenberg mit seiner Frau Margaretha Westenberg geb. Rosenthal waren das letzte
gemeinsame Schützenkönigspaar der Bruderschaft. Ab 1891 hatten die Bruderschaften in Flittard
und Stammheim ihre eigenen Königspaare.
Beim Hauptfestzug der Flittarder Schützen am 30.06.1991 führte die Schwesterbruderschaft aus
Stammheim den Festzug der Schützen an, wie es wohl seit 1891 Tradition ist. Zum Gedenken an
den Plückvogel von 1890 hatte jeder Stammheimer Schütze einen Holzspan unter seine
Schulterklappe geschoben. Nur wenige wussten, dass sie damit ein Jahr zu spät waren. 100 Jahre
Plückvogel wäre 1990 zu feiern gewesen ...
Die freundliche Geste wurde aber trotzdem gewürdigt, gelobt und begossen und 101 Jahre nach
dem Plückvogel, führte auch die Flittarder Bruderschaft wenige Wochen später den Hauptfestzug
in Stammheim an - ebenfalls mit einem Gedenk-Holzspan unter der Schulterklappe. 101 Jahre
nach König Johann Westenberg und dem Schurkenstreich von Heinrich Winand.
Der Königsvogel von 1994. Kurt und Wolfgang Hübert bei der Arbeit.